Exklusionsrisiken junger Menschen am Übergang Schule – Beruf
Einem Teil der jungen Menschen gelingt der Übergang in den Beruf auch auf lange Sicht nicht. Perspektivlosigkeit, sozialer Rückzug und Gefühle des Scheiterns belasten die Betroffenen häufig. Fehlende gesellschaftliche Teilhabe und Armut können die Folge sein.
Die folgenden statistischen Daten bieten eine Übersicht zum Verbleib junger Menschen an ihrem Übergang von der Schule in den Beruf. Nachweislich sind einige Personengruppen besonders stark von beruflicher Exklusion betroffen. Auch hierzu sind zentrale Befunde wiedergegeben.
1. Was passiert mit jungen Menschen am Übergang Schule – Beruf?
1.1 Ausgangslage: Schulabgänger*innen
Demografiebedingt hat die Zahl der Schulabgänger*innen in den letzten Jahren deutlich abgenommen. 2021 verließen 768.200 junge Menschen die allgemeinbildenden Schulen und damit rund 97.100 Personen weniger als 2010. Davon hatten 15,9 Prozent einen Hauptschulabschluss (122.300), 43,5 Prozent einen mittleren Abschluss (334.100) und 34,4 Prozent eine Studienberechtigung (2021: 264.300). Während der Anteil der Abgänger*innen ohne Schulabschluss mit rund 6 Prozent (2021: 47.500) seit zehn Jahren nahezu konstant ist, besteht insgesamt ein Trend zu höheren Schulabschlüssen (BMBF 2023, S.25).
1.2 Einmündung in das Berufsbildungssystem
Knapp 900.000 Neuzugänge gab es 2021 in der beruflichen Bildung, davon 49 Prozent im Dualen System, 25 Prozent im Schulberufssystem und 26 Prozent im Übergangssektor (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2022, S.167).
Im Jahr 2022 meldeten sich von 698.860 institutionell erfassten ausbildungsinteressierten Personen (BMBF 2023, S.48) rund 422.400 als Bewerber*innen bei den Agenturen für Arbeit und Jobcentern, was im Vergleich mit 2019 einem Rückgang von 17,5 Prozent weniger registrierten Bewerber*innen entspricht (ebd. S.26). 68,0 Prozent aller institutionell erfassten Ausbildungsinteressierten gelang es 2022, in eine duale Ausbildung einzumünden (ebd. S.48). Wie viele ausbildungswillige junge Menschen von den Arbeitsagenturen als „nicht ausbildungsreif“ deklariert wurden, ist nicht bekannt.
Das Durchschnittsalter der Auszubildenden mit Neuabschluss lag 2021 bei 20,0 Jahren (BIBB 2023, S.163).
1.3 Junge Menschen ohne Berufsausbildung
Die Zahl der Jugendlichen, die nicht in Bildung, Ausbildung oder Beschäftigung sind (sogenannte NEETs - Not in Employment, Education & Training), ist seit 2019 deutlich angestiegen. Im Jahr 2020 waren 630.000 junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren weder in Bildung, Ausbildung oder Beschäftigung (2019: 492.000) (Dohmen et al. 2023, S.27). Im Jahr 2021 verfügten 2,64 Millionen (17,8 Prozent; 2020: 15,5 Prozent) der jungen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren in Deutschland über keinen Berufsabschluss (BMBF 2023, S.96f.).
1.4 Einmündung in Ausbildung aus dem Übergangssektor
Nach zwölf Monaten in einer Maßnahme des Übergangssektors gelingt etwa 30 Prozent der Teilnehmer*innen die Aufnahme einer Ausbildung (junge Menschen mit Hauptschulabschluss: 20 Prozent). Nach zwei Jahren sind rund 50 Prozent in den Ausbildungsmarkt integriert und nach drei Jahren sind es 60 Prozent (Euler / Seeber 2023, S.21ff.). Bei jungen Menschen ohne oder mit einem eher schwachen Hauptschulabschluss zeigte sich in einer Vergleichsstudie ein besserer Bildungsverlauf, wenn sie direkt nach der Schule eine Ausbildung begonnen haben, als wenn sie nach einer oder mehrerer Übergangsmaßnahmen verzögert in Ausbildung gemündet sind. Nur Jugendliche, die innerhalb von 15 Monaten nach Verlassen der Hauptschule ihren Schulabschluss verbessern konnten, profitierten vom Übergangssektor (Enggruber / Ulrich 2014, S.45).
1.5 Ausbildungsabbrüche
Vier Jahre nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule haben 28 Prozent aller Auszubildenden ihre Ausbildung vorzeitig ohne Abschluss abgebrochen. Im dualen System sind es 24 Prozent, im Schulberufssystem sogar 38 Prozent (Euler / Seeber 2023, S.14).
2. Exklusionsrisiken: Wer wird benachteiligt bei der Ausbildungssuche?
2.1 Schulabschluss
Die Übergangsquote von Personen mit Hauptschulabschluss in duale Ausbildung hat in Relation zum jeweiligen Hauptschulabgängerjahrgang zwischen 2012 und 2021 von 88,6 Prozent auf 68,0 Prozent abgenommen (Dohmen et al. 2023, S.76).
Personen mit maximal Hauptschulabschluss sind besonders häufig von Ausbildungsabbrüchen betroffen (Euler / Seeber 2023, S.14) und machen den Großteil der NEETs aus (Dohmen et al. 2023, S.27).
Die Ungelerntenquote der jungen Menschen mit niedriger Schulbildung verzeichnete innerhalb eines Jahres einen deutlichen Anstieg: 39,0 Prozent der Personen mit Hauptschulabschluss zwischen 20 und 34 Jahren sind 2021 ohne Ausbildung gewesen (2020: 35,8 Prozent). Von denjenigen ohne Schulabschluss waren 74,1 Prozent von Ausbildungslosigkeit betroffen (2020: 64,4 Prozent) (BMBF 2023, S.97 sowie BMBF 2022, S.83).
2.2 Soziale Herkunft
25,5 Prozent der 18- bis 25-Jährigen gelten in Deutschland als armutsgefährdet (BAG KJS 2022). Das Bildungsniveau der Eltern ist besonders für Jugendliche ohne oder mit niedrigem Schulabschluss entscheidend: Weisen ihre Eltern einen niedrigen Berufsstatus auf, sind ihre nachschulischen Verläufe deutlich häufiger instabil als bei Jugendlichen mit demselbenVorbildungsniveau, deren Eltern Berufe mit einem mittleren oder hohen Status ausüben (Michaelis et. al 2022, S.60f.).
2.3 Geschlecht
In Kombination mit einem niedrigen Schulabschluss stellt das Geschlecht ein weiteres Exklusionsrisiko dar. Insbesondere die nachschulischen Bildungsverläufe junger Frauen mit oder ohne Hauptschulabschluss sind alarmierend: Mehr als jede Vierte ist vier Jahre nach Verlassen der Schule noch ohne Berufsabschluss und befindet sich auch nicht (mehr) in Ausbildung. Bei den jungen Männern ist es jeder Fünfte (Eckelt / Burkard 2022, S.23). Stärker als in anderen Ländern ist in Deutschland eine klare Überrepräsentation von jungen Frauen mit Kindern in der Gruppe der NEET-Jugendlichen zu beobachten. Da sie nicht als arbeitssuchend gelten, sind sie in der Jugendarbeitslosenquote unsichtbar (Brzinsky-Fay 2022).
Frauen konzentrieren sich auf weniger Ausbildungsberufe als Männer. 42 Prozent der jungen Frauen haben 2022 ihren Ausbildungsvertrag in einem der sechs beliebtesten Ausbildungsberufe abgeschlossen. Bei den jungen Männern entfallen 28 Prozent auf die ersten sechs Berufe (BIBB 2023).
2.4 Migrations- und Fluchterfahrung
2020 haben 77 Prozent der Jugendlichen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die in das Berufsbildungssystem mündeten, eine duale oder vollzeitschulische Ausbildung aufgenommen. Unter den Jugendlichen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit sind es nur 54 Prozent (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2022, S.168f.).
In eine betriebliche Ausbildung mündeten 2021 von allen bei der Arbeitsagentur als ausbildungsinteressiert gemeldeten jungen Menschen 43 Prozent der Bewerber*innen ohne Migrationshintergrund, 26 Prozent mit Fluchthintergrund und 30 Prozent mit sonstigem Migrationshintergrund (BIBB 2022, S.202). Berücksichtigt man die Herkunftsregion, zeigt sich, dass die Ausbildungswahrscheinlichkeit von Menschen mit türkisch-arabischem Migrationshintergrund ohne Fluchtgeschichte besonders niedrig ist. Sie haben sogar geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz als die Gruppe der Geflüchteten, obwohl die meisten von ihnen in Deutschland geboren sind und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (Eberhard / Schuß 2021, S.30).
2.5 Wohnort
In Bezug auf das Ausbildungsangebot bestehen große regionale Unterschiede. Laut Ausbildungsförderungsgesetz beträgt das Verhältnis von Ausbildungsplätzen und Bewerber*innen für ein hinreichend auswahlfähiges Ausbildungsangebot mindestens 112,5 zu 100. Diese Zielmarke wurde weder auf Bundes- noch auf Länderebene erreicht (Euler / Seeber 2023, S.10) und nur in zwölf von 145 Arbeitsmarktbezirken überschritten (ebd. S.13). Das regionale Ausbildungsplatzangebot und die Anzahl der vorhandenen Plätze in Maßnahmen des Übergangssektors sind zentrale Determinanten dafür, wie lange Hauptschulabgänger*innen mit mittleren bis schlechten Abschlussnoten für die Aufnahme einer Berufsausbildung benötigen (Enggruber / Ulrich 2014: S.44).
2.6 Körperliche, kognitive und psychische Beeinträchtigungen
Der Anteil der Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an allen Schüler*innen der Primar- und Sekundarstufe I ist leicht gestiegen. Von den 7,7 Prozent werden noch mehrals die Hälfte an Förderschulen unterrichtet (Statista Research Department 2022). Jede*r zweite Jugendliche ohne Hauptschulabschluss war in einer Förderschule (Klemm 2023, S.16).
Von den in 2017 in Deutschland neu abgeschlossenen 515.679 Ausbildungsverträgen wurden 8.259 (1,6 Prozent) in Berufen für Menschen mit Behinderungen auf der Basis von Ausbildungsregelungen nach § 66 BBiG abgeschlossen. Von 2014 bis 2017 waren die neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge insgesamt um 0,5 Prozent rückläufig, bei Berufen für Menschen mit Behinderungen hingegen um 13,9 Prozent (BMAS 2021, S.159).
Aufgrund der Pandemie und der aktuellen Krisen sind junge Menschen zunehmend psychisch belastet. Welche Chancen sie auf dem regulären Ausbildungsmarkt haben, eine Berufsausbildung erfolgreich abzuschließen, ist zahlenmäßig nicht belegt. In Werkstätten für behinderte Menschen weisen mittlerweile rund 22 Prozent der Teilnehmenden eine psychische Behinderung auf (BAG WfbM 2022, S.41).
Weitere Schritte
Diese statistischen Befunde verdeutlichen die gravierenden Missstände am Übergang Schule – Beruf, die für viele junge Menschen zu Ausbildungs- und Perspektivlosigkeit führen. Die Jugendsozialarbeit trägt mit ihren Angeboten zu Inklusion in der beruflichen Bildung bei. Echte Inklusion kann jedoch nur erreicht werden, indem exkludierende Strukturen in der beruflichen Bildung abgebaut werden. Dazu fordern wir die Politik auf.
Auf Grundlage dieses Factsheets werden wir im Rahmen des Projekts „Ausbildung garantiert!?“ politische Handlungsbedarfe für ein Ausbildungssystem formulieren, das allen jungen Menschen eine berufliche Zukunft garantiert.
Freiburg, 19.06.2023
Fachlich zuständige Ansprechpartnerinnen:
Susanne Nowak
Bundesreferentin Jugendberufshilfe
IN VIA Deutschland
Tel: 0761 - 200 636
E-Mail: susanne.nowak@caritas.de
Mareike Krebs
Projekt „Ausbildung garantiert!?“
IN VIA Deutschland
Tel: 0761 - 200 640
E-Mail: mareike.krebs@caritas.de
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